Gendern, also die sprachliche Gleichstellung der Geschlechter, hat sich in den letzten Jahren zu einem sensiblen und polarisierenden Thema entwickelt. Es geht darum, in Texten und im gesprochenen Wort alle Geschlechter sichtbar zu machen, statt nur die männliche Form zu verwenden. So weit, so gut.
Als Lektorin und Texterin betrachte ich das Thema Gendern in erster Linie aus sprachlicher Sicht und nicht als „Öl-ins-Feuer-Gießerin“ einer gesellschaftspolitischen Debatte. Für mich sind alle Menschen gleich.
Ich respektiere und schätze alle Menschen – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Identität.
Aber als Sprachliebhaberin bin ich verwirrt. Wie werde ich allen gerecht? Wie formuliere ich treffsicher, ohne jemanden (ungewollt) zu diskriminieren?
Wenn ich mir an die eigene Nase fasse: Viele Wörter benutze ich unbewusst, weil ich sie so gelernt habe.
- Arzttermin
- Patient
- Passagierflugzeug
- benutzerfreundlich
- Nachbarn
- Ansprechpartner
Wer es genau nimmt, könnte mir das alles kritisch auslegen.
Aber wie mache ich es richtig?
Richtig gendern – aktuelle Optionen für geschlechtergerechtes Schreiben
Die gegenwärtige Situation erscheint mir … chaotisch. Oder in meinen Worten: Es ist Kraut und Rüben! Es gibt keinen Standard, keine Norm für geschlechtergerechte Sprache. Leider. Und das, obwohl wir in einem Land leben, in dem es doch für alles eine Norm gibt – selbst für Bananen und Geschäftsbriefe! (siehe auch: DIN 5008 – Dresscode für Ihre Business-Kommunikation)
Das Einzige, was es im Moment gibt: Tohuwabohu, Debatten und eine Vielzahl von … nennen wir es: Gestaltungsoptionen. Oder Strategien für gendergerechtes Schreiben.
Am einfachsten ist es wohl, die vollständige Paarform zu verwenden: Kolleginnen und Kollegen, Ärztinnen und Ärzte. Aber fühlen sich nicht-binäre Menschen davon angesprochen? Vermutlich nicht. Und wenn ich mehrere solcher Kombinationen in einem Text verwende, wird er wahrscheinlich doppelt so lang. Sorry, das gefällt mir nicht.
Was mir auch nicht gefällt: Wenn ich mir heutzutage manche Texte ansehe, sticht mir zuerst dieser Wust an Sonderzeichen ins Auge. Mein innerer Monk meldet sich also schon bei der Optik zu Wort – ohne dass ich den Inhalt überhaupt erfasst habe! Das ist stilistisch einfach nicht ansprechend, jedenfalls nicht für mich. Es stört den Lesefluss. Und mit Barrierefreiheit hat das wohl auch nicht viel zu tun. Am schlimmsten ist es für mich, wenn ich es mit dieser gesprochenen Pause höre, also wenn man das “innen” vom Wort absetzt. Aargh.
Nun ja, schauen wir uns diese Varianten einmal genauer an:
Schrägstrich | Frau/Herr für: Frau oder Herr |
|
Klammern | Kolleg(inn)en für: Kollegen und/oder Kolleginnen |
Ich habe mal gelernt: Alles, was in Klammern steht, kann man auch weglassen. Autsch! |
Schrägstrich und Ergänzungsstrich | Mitarbeiter/-innen für: Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen |
Hier stellen sich meine Nackenhaare senkrecht, wenn ich folgendes sehe: Ärzte/-innen
Aaaah. Es heißt doch nicht Ärzteinnen, wenn man es ausschreiben würde. Wie kann man das bitte so abkürzen?! Oder Kollegen/-innen. Ich möchte das nicht. |
Unterstrich („Gender-Gap“) | Mitarbeiter_Innen | Das sieht für mich aus wie beim Glücksrad – welcher Buchstabe fehlt? |
Doppelpunkt | Mitarbeiter:innen | Das ist für mich ehrlicherweise eine der optisch harmonischsten Formen. Ein Doppelpunkt ist ein gelerntes und im Deutschen übliches Satzzeichen, aber genau hier liegt auch das Problem: Es ist ein Satzzeichen. Darüber Identitäten sichtbar zu machen, hm, keine gute Idee. |
Mediopunkt | Mitarbeiter·innen | So schön das auch aussieht – aber nein. Ähnlich wie beim Doppelpunkt kann man darüber sicherlich keine Identitäten sichtbar machen. Hinzu kommt: Auf der Tastatur musste ich erst einmal suchen, wo ich den Mediopunkt überhaupt finde. ALT+0183 ist die Lösung. |
Binnen-I | MitarbeiterInnen | Meine Augen sehen hier ein kleines „L“. Ich stolpere also jedes Mal beim Lesen. Und jedes Kind, das Deutsch lernt, und jedes Vorleseprogramm für Barrierefreiheit vermutlich auch? |
Asterisk („Gender-Stern“) | Mitarbeiter*innen | Der Gender-Stern soll alle Geschlechtsidentitäten kennzeichnen – grundsätzlich eine smarte Idee. Aber wie bitte sieht ein Text aus, wenn ich darin überall Sterne sehe?! Wie liest man das Kindern vor? Oder liest man da genauso hölzern, wie manchmal gesprochen wird? Die Lehrer[Pause]innen haben … Und was ist mit den „Lehrer außen“?Blöd, ja, ist es. Aber genauso klingt es leider in meinen Ohren. |
Richtig gendern – was sagen Fachkundige?
Was sagt eigentlich die „maßgebende Instanz“ in Deutschland, der Rat für deutsche Rechtschreibung, dazu? In all meiner Naivität hatte ich von diesem Gremium ein paar Richtlinien erwartet.
Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat am 26.03.2021 seine Position zur geschlechtergerechten Sprache bekräftigt. Er betont, dass alle Menschen sensibel und geschlechtergerecht angesprochen werden sollen, sieht dies aber als gesellschaftliche Aufgabe, die nicht allein durch Rechtschreibregeln gelöst werden kann. Der Rat empfiehlt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, Sonderzeichen wie Gender-Stern, Unterstrich oder Doppelpunkt zur Kennzeichnung geschlechterübergreifender Bezeichnungen in das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung aufzunehmen. Weitere Informationen finden Sie in der Pressemitteilung Geschlechtergerechte Schreibung: Empfehlungen vom 26.03.2021.
Zweieinhalb Jahre später: Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat am 15.12.2023 seine Position zur geschlechtergerechten Sprache bekräftigt. Die Aufnahme von Sonderzeichen wie Gender-Stern, Unterstrich oder Doppelpunkt in das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung wird nicht empfohlen. Der Rat betont erneut, dass geschlechtergerechte Sprache eine gesellschaftliche Aufgabe ist, die nicht durch orthografische Regeln gelöst werden kann. Als Kriterien für geschlechtergerechte Texte werden Verständlichkeit, Lesbarkeit, Vorlesbarkeit und Rechtssicherheit. Der Rat wird die weitere Entwicklung der Schreibweisen beobachten, da die geschlechtergerechte Schreibweise aufgrund des gesellschaftlichen Wandels noch im Fluss ist. Weitere Informationen liefert Ihnen die Pressemitteilung Geschlechtergerechte Schreibung: Erläuterungen, Begründung und Kriterien vom 15.12.2023.
Die „Entwicklung der Schreibweisen beobachten“, schön.
Was mein Auge derweil beobachtet: Auch wenn es nicht empfohlen wird, die Sonderzeichen in das offizielle Regelwerk aufzunehmen, so werden sie doch an vielen Stellen verwendet. Zu meinem Leidwesen auch oft als „grammatikalische Fehlkonstruktionen“.
Richtig gendern – grammatikalisch falsch?
Zwei Beispiele. Hierfür benutze ich jetzt einfach mal den „Gender-Stern“, wenn man sich schon die Mühe gemacht hat, ein Wort für dieses Zeichen (Asterisk) zu erfinden.
- Ich habe es den Lehrer*innen gesagt.
Nein! Das. Ist. Grammatikalisch. Falsch. (<– genau wie diese Art, einen Satz zu schreiben) Es heißt, ich habe es den Lehrern und Lehrerinnen gesagt. Oder den Lehrerinnen und Lehrern. Keine Ahnung, ob das Femininum (Lehrerin) oder das Maskulinum (Lehrer) zuerst genannt werden muss oder ob das egal ist. Aber an die männliche Form gehört im Dativ ein „n“ – egal, wie man es dreht und wendet, schreibt oder spricht.
- Sie wollten die Ärzt*innen darauf hinweisen, dass …
Die Ärzt? Es sind die Ärzte!
Auch im Akkusativ gehört eine korrekte Endung ans Wort.
Und genau solche grammatikalischen Fehlkonstruktionen, an denen sich außer mir anscheinend kaum jemand stört, nerven mich! Oder, ja, sie regen mich auf!
Wie kann man es also besser oder anders machen?
Richtig gendern – geschlechtsneutrale übergreifende Formulierungen
Als Lektorin und Texterin stehe ich täglich vor der Herausforderung, die Balance zwischen sprachlicher Notwendigkeit und stilistischer Ästhetik zu finden. Texte sollen korrekt und gleichzeitig ansprechend gestaltet sein. In vielen Fällen empfinde ich die Verwendung von Sonderzeichen oder künstlich wirkenden Konstruktionen als sprachliche Überforderung. Daher meine persönliche Präferenz und Abwägung:
Ich bevorzuge mittlerweile geschlechtsneutrale Formulierungen, auch wenn sie aus meiner Sicht oft hölzern und umständlich klingen und dem Text die Persönlichkeit nehmen. Aber zumindest halten den Text stilistisch klar und verständlich, ohne dass dabei jemand ausgegrenzt wird.
Beispiele:
- Ansprechpersonen (für: Ansprechpartner)
- Mitarbeitenden (für: Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter …)
- Pädagogische Fachkraft (für: Pädagogen (m/w/d))
- Behandlungstermin; Vorsorgetermin; ärztlicher Termin (für: Arzttermin)
Die Vorteile:
- Ich brauche keine drei Extra-Seiten für Doppelnennungen.
- Ich habe kein optisches Gruseldokument aus Sonderzeichen.
- Und das Wichtigste: Hier finden sich (hoffentlich) alle Menschen wieder, egal ob männlich, weiblich, divers, nicht-binär …
Ein Wörterbuch für gendergerechte Sprache
Dazu habe ich ein Online-Wörterbuch für gendergerechte Sprache entdeckt: geschicktgendern.de.
Das habe ich mir gleich in die Favoritenliste meines Browsers gelegt, damit ich schnell fündig werde, wenn ich mal wieder über eine passende Formulierung grübele. Aber auch hier – was habe ich entdeckt?
- Patientennah wird zu „Point-of-Care“.
Ernsthaft? #deutschesprache - Und auch mit „nebenan Wohnende“ (anstelle von Nachbarn) tue ich mich schwer.
Aber gut, man kann ja nicht alles haben.
Auch der abgewandelte Werbespruch „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärztin oder in Ihrer Apotheke“ ist nicht ganz korrekt. Denn ich fürchte, auch da finden sich nicht alle wieder. Arzt und Ärztin sind ja „nur“ männlich und weiblich. Wie wäre es mit „Personen im ärztlichen Dienst? Ärztliches Fachpersonal? Medizinische Fachkräfte?“ Dann könnte es heißen: Holen Sie sich bei Fragen ärztlichen Rat oder erkundigen Sie sich in Ihrer Apotheke.
Fazit: Es ist und bleibt knifflig. Das Thema Gendern in der deutschen Sprache ist nach wie vor umstritten und bietet viel Raum für Diskussionen. Ich persönlich sehe den sprachlichen Fortschritt und die Intention dahinter, klar! Sprache ist lebendig und entwickelt sich weiter – und das Gendern ist ein Teil dieser Evolution. Ich sehe aber auch, dass manche Texte dadurch schwerer zugänglich werden. Bereichern wir also mit dem Gendern die Sprache oder verkomplizieren wir sie unnötig? Wahrscheinlich beides. Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, welchen Weg er gehen will. Als Lektorin und Texterin möchte ich alle ermutigen, sich mit den sprachlichen Aspekten des Genderns auseinanderzusetzen und sich eine eigene und möglichst fundierte Meinung zu bilden. Sprache ist mehr als nur ein Kommunikationsmittel – sie ist ein Spiegel unserer Gesellschaft.
Aber um ehrlich zu sein:
Ich wünsche mir eine einheitliche Regelung für eine Sprache, die die Gleichberechtigung aller Geschlechter widerspiegelt, die deutsche Sprache inklusiver macht, Diskriminierungen vermeidet und gleichzeitig stilistisch klar und verständlich bleibt.
Wahrscheinlich ist das die eierlegende Wollmilchsau.
Weiterführende Links:
- Rat für deutsche Rechtschreibung
- Wörterverzeichnis der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) mit Formulierungshilfen, Erläuterungen und alternativen Begriffen für die Berichterstattung
- Online-Wörterbuch für gendergerechte Sprache
// Off the Record: Zuhause haben wir für Genderformen die Endung -linge kreiert. Das klingt schöner, freundlicher und deutlich humorvoller als die teils abstrakten Begrifflichkeiten, finden wir. Man muss ja nicht jede Diskussion so bitterernst führen.
Unsere Beispiele:
- Polizeilinge und Feuerlöschlinge
- Mitarbeitlinge und Kolleglinge
- Bäcklinge (für: Bäcker (m/w/d))
- Mauerlinge (für: Maurer (m/w/d))
Klappt aber leider nicht immer: Winzer (m/w/d) wären dann Winzlinge 😀